2011.03.08 Pop24 (article)

Source: "Billie-Eve"

Für Joy Olasumibo Ogunmakin, seit inzwischen rund fünf Jahren sehr viel besser bekannt als Ayo., war die Veröffentlichung von "Down On My Knees" (2006) durchaus mit einer Geburt vergleichbar. Es war Ayo.s musikalische Geburtstunde: Mit ihren unglaublich sanften, einfühlsamen und zugleich eindringlichen Melodien hat sie seither nicht nur die Herzen der Leute, sondern auch die Charts erobert. Die Sängerin mit nigerianischen Wurzeln, die Bob Marley und Donny Hathaway gleichermaßen zu ihren wichtigsten Einflüssen zählt, hatte schon mit dieser ersten Single ein klangliches Universum erschaffen, in dem sie ihre ganz eigene Sicht der Dinge artikulieren und damit die Menschen erreichen konnte.

Doch der Weg dorthin war nicht immer angenehm gewesen: Nachdem sie zwei Jahre mit ihrem Vater in Nigeria verbracht hatte, kehrte Ayo. nach Deutschland zurück, wo sie 1980 zur Welt gekommen war. Die Suchtprobleme ihrer Mutter sorgten jedoch schon bald dafür, dass sie mehrere Jahre bei einer Pflegefamilie unterkommen musste – wobei Ayo. ihre Kindheit heute dennoch als schöne Zeit beschreibt. Anstatt dann irgendwelche Klassiker auswendig zu lernen, machte sie sich schon als 13-Jährige daran, die ersten eigenen Songs zu komponieren.

Die Karriere von Ayo. beginnt schließlich, als sie auf ein paar Produzenten trifft, denen jedoch nichts Besseres einfällt, als sie für irgendeine kurzlebige Mädchen-Band verpflichten zu wollen. Ayo. kehrt ihnen daher schon Anfang des Jahres 2000 wieder den Rücken und schlägt ihre Zelte nun in Hamburg auf. Sie nimmt mit ihrem besten Freund eine erste Version von "Down On My Knees" auf – daheim in irgendeiner Ecke, und sie verkündet schon damals, dass dieser Song irgendwann die Single von ihrem ersten Album sein würde. Die Prophezeiung bewahrheitet sich wenige Jahre später: Das erste Album "Joyful", auf dem die Single vertreten ist, erscheint im Jahr 2006 und verkauft sich über 400.000 Mal. Keine üble Zahl für ein Dutzend Tracks, die sie mal eben in fünf Tagen aufgenommen hatte.

Ihr zweites Album "Gravity At Last" nahm sie zwei Jahre später in den Compass Point Studios in Nassau auf den Bahamas auf. Auch hier war alles nach nur fünf Tagen Studiozeit im Kasten, nur übernahm Ayo. dieses Mal an der Seite von Jay Newland auch die Rolle der Co-Produzentin, während Größen wie Larry Campbell (Gitarre) und Lucky Peterson (Keyboards) als Session-Musiker aushalfen. "In Farben ausgedrückt, hab ich mich mit dem Album von Hellblau zu Mitternachtsblau bewegt. Jean-Philippe, der mich unter Vertrag genommen und immer an mich geglaubt hat, rief mich an, während ich mich gerade in den Staaten aufhielt, und er berichtete mir, dass die Platte auf Platz #1 der französischen Charts gelandet war – obwohl einer der größten französischen Acts in derselben Woche ebenfalls ein neues Album veröffentlicht hatte. Und so saß ich dann also in Tränen aufgelöst in meinem Hotelzimmer, schaute mir meinen Lieblingsfilm 'Forrest Gump' an und konnte es kaum fassen."

Seit Ayo. in die Liga der großen Popstars aufgestiegen ist, hat sie diese Stellung durchaus ausgenutzt – allerdings nicht im Sinne von Geld, das sie nun plötzlich um sich geworfen oder für irgendwelche Luxusschlitten ausgegeben hätte. Sie zog es stattdessen vor, nebenher als Botschafterin für UNICEF aktiv zu werden.

Die Arbeit an ihrem mit Spannung erwarteten dritten Album begann die 30-Jährige schon während ihrer letzten Tournee. Doch dann schwebte sie, unterwegs von Los Angeles nach Paris, von einem Moment auf den nächsten in Lebensgefahr aufgrund einer Eileiterschwangerschaft. Angeschlagen dachte sie nun sogar darüber nach, ihre Karriere als Sängerin komplett aufzugeben. Doch stattdessen ging sie erst mal nach Berlin, um sich dort ein neues Klavier zu leisten. "Danach habe ich dann noch zwei Monate Pause gemacht: Urlaub auf Jamaika. Als ich zurückkehrte, war ich wieder schwanger." Allerdings nicht nur körperlich, denn zeitgleich kehrte auch die Inspiration zurück; schon da war klar: sie wollte ein Album aufnehmen, das den Namen ihrer damals noch ungeborenen Tochter Billie-Eve trug. Ihr musikalisches Baby kann sich sehen lassen: Vielschichtiger, noch emotionaler und aufwändiger gestrickt als die Vorgänger, geht "Billie-Eve" sofort nur unter die Haut und lässt einen nicht mehr los.

"Ich wollte diese Platte unbedingt in New York City aufnehmen", berichtet Ayo. "Wir hatten schließlich die Wahl zwischen zwei Studios: Adversity oder Sear Sound. Ich hab mich dann für Letzteres entschieden, weil ich es dort so wahnsinnig gemütlich fand und sehr viel gute Energie in der Luft lag. Und dann wollte ich mit einem kleineren Team arbeiten und mich auf das Wesentliche konzentrieren. Nachdem ich die Songs dann geschrieben hatte, kontaktierte ich Gail-Ann Dorsey, die schon für David Bowie als Session-Bassistin gearbeitet hat, sowie Craig Ross, den Gitarristen von Lenny Kravitz, und Flemming Lauritsen – einen Schlagzeuger, der vom Sound her an die Ära der Band Of Gypsys erinnert. Nach dieser ersten Aufnahme-Session in New York, die wie bei den Vorgängern wieder einmal fünf Tage gedauert hat, flog ich dann nach Paris und nahm dort noch vier weitere Songs mit zwei von meinen Tourmusikern auf – 'It Hurts' und 'Real Love' zum Beispiel; in dem Fall hat -M-, also Matthieu Chedid, die Gitarre beigesteuert."

Die musikalische Palette, die Ayo. auf "Billie-Eve" präsentiert, ist breit gefächert; sie reicht von Reggae bis Psychedelic Rock; unterwegs erfindet sie noch den Blues neu und zeigt, wie unglaublich viel Gefühl man in Soul-Musik verpacken kann. Ganz zu schweigen von den zutiefst persönlichen und gefühlstiefen Songtexten – den mit Abstand persönlichsten ihrer Karriere. "Julia", übrigens die wahre Geschichte eines Mädchens, das gegen eine unheilbare Krebserkrankung kämpft, ist vielleicht der emotionale Höhepunkt eines Longplayers, der jeder Art von Gefühl oder Stimmung mit derselben Leidenschaftlichkeit auf den Grund zu gehen versucht. Der Rapper, Sänger und Dichter Saul Williams, der einzige Gesangsgast, steuert im Fall von "Believe" ein paar Spoken-Word-Zeilen bei, während Ayo. hier sogar selbst zur E-Gitarre greift.

Ganz gleich, ob Ayo. nun eine Coverversion des Jackson-5-Klassikers "I Want You Back" aufnimmt oder die Schönheit der Protagonistin von "I'm Gonna Dance" besingt – immer ist da dieses tiefe Gefühl, diese Magie, mit der sie Worte zu zähmen versteht und es schafft, sie auf eine Art und Weise in den Sound einfließen zu lassen, dass ihre Message rüberkommt. "Ich glaube, dass es sehr wohl einen Grund dafür gibt, weshalb wir alle auf der Welt sind, und ich denke, dass alles schon irgendwie vorher festgelegt ist. Ich hatte das große Glück, meinen Traum verwirklichen zu können, die richtigen Leute zu treffen, um damit erfolgreich sein zu können. Zwar gibt es Leute, die mich nicht verstehen, wenn ich das sage, aber ich wusste ehrlich gesagt schon immer, dass ich eines Tages eine Künstlerin sein würde."

"Billie-Eve" – der Titel (und Name ihrer Tochter) ist übrigens auch ein Wortspiel auf das Verb "believe" – ist eine Art Tanz, eine emotionale Reise von und mit einer Musikerin, deren künstlerische Entwicklung man gar nicht übersehen oder überhören kann: "Dieses dritte Album klingt direkter, schroffer, simpler. Im Gegenteil zu den beiden Vorgängern spiele ich dieses Mal kaum Akustikgitarre; vielmehr sind es E-Gitarren, die für das Rock-Feeling verantwortlich sind. Ich weiß, dass man in der Regel das erste Album als das wichtigste bezeichnet; für mich ist es aber diese Platte: 'Billie-Eve' hat mir ganz neue Türen geöffnet. Ich habe die LP selbst produziert, und ich bin sehr stolz auf das Ergebnis."

Ohne auf irgendwelche Moden und Trends zu schielen, ohne glitzernde Feature-Stars, und ohne jegliche Allüren oder Posen präsentiert sich Ayo. vom ersten bis zum letzten Song als grandiose Sängerin, die etwas zu sagen hat. Als virtuose Musikerin, der es in erster Linie um eines geht: um Ehrlichkeit. Und um wahre Gefühle.